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Interview mit der Stipendiatin Rosa Flores Cruz


Rosa Marina Flores Cruz ist eine afro-indigene Aktivistin aus Mexiko und hat als Incomindios Youth-Stipendiatin am diesjährigen UN-Forum für indigene Angelegenheiten (UNPFII 2021) teilgenommen. Im Interview mit Katy Cottrell von Incomindios UK erzählt Rosa über ihre Arbeit mit indigenen Gemeinschaften, die sich gegen Ausbeutung und Bedrohungen wehren.


Als Einstieg in das Interview erzählte Rosa von ihrer Mutter und Grossmutter, die sich beide in indigenen Widerstandsbewegungen engagierten: «Wir stammen von einer Generation von Frauen, die sich immer zu Wort meldeten und die sich ihrer Identität und Wertschätzung als indigene Frauen immer bewusst waren.» Einer der wichtigsten Beweggründe für Rosas Aktivismus sind die Folgen, welche Bauprojekte für ihre eigene Gemeinschaft und deren Land hatten. Rosa schildert, dass «ein Grossprojekt in unsere Region eindrang, unser Land besetzte, ohne Rücksprache und ohne angemessen Einbezug der Gemeinschaft… Wir merkten rasch, dass die Profiteure Geschäftsleute sind, die hinter solchen Projekten stecken, und die lokale Bevölkerung geht leer aus.»

Ich war überrascht zu erfahren, dass viele der Projekte, die Rosa erwähnte, erneuerbare Energien fördern sollten. Solche Projekte sind bereits so weit verbreitet, dass es auch in ihrer Region 2000 Windturbinen gäbe, welche «die Landschaft [und] die Lebensgewohnheiten verändern werden.»


Die Lebensrealität Indigener Völker hängt zweifellos eng mit dem Klimawandel zusammen. Demzufolge nahm ich – etwas blauäugig – an, dass Energie aus erneuerbaren Ressourcen von ihnen begrüsst würde. Gemäss Rosa würden indigene Völker und existenzgefährdete Gruppen jedoch weiterhin unter solchen Projekten leiden, wenn diese auf dieselbe ausbeuterische Weise verwirklicht würden: «Wir müssen die Folgen des Klimawandels bewältigen, aber auch die der Projekte, welche den Klimawandel verlangsamen sollen».

Mega-Projekte führen zu Gewalt gegen Frauen

Eine der Auswirkungen der Grossprojekte in Mexiko ist die erhöhte Gewalt gegen Frauen. Rosa erzählt mir vom Windenergieprojekt in ihrer Region. Viele Männer aus Europa kämen als Arbeiter – und belästigten Frauen. Das passiere in den verschiedensten Projekten, zumal Arbeitskraft von Männern benötigt würde. Wo aber viele Männer arbeiten, bricht das Patriarchat durch, und der Missbrauch von Frauen wird Realität, und zwar in einem riesigen Ausmass. «Projekte nach kapitalistischen Prinzipien durchgezogen führen immer zu Gewalt gegen Frauen.» Diese Ausbeutung findet in Mexiko in einem grösseren Kontext von Misshandlungen statt: 2010 ernannte die UNO Mexiko als eines der Länder mit der höchsten Zahl an Gewalttaten gegen Frauen. Indigene Frauen gehören oftmals zu den am meisten betroffenen und machen 70% Prozent aller Opfer von Menschenhandel in Mexiko aus. Obwohl «Feminismus» als Begriff nicht unbedingt von indigenen Frauen als solchen benutzt wird, setzen sie sich gegen Patriarchat, Kolonialismus und Kapitalismus ein und kämpfen für ihr Land und ihr angestammtes Territorium. Diese indigenen Frauen sagen nicht «ich bin eine Feministin», sie sagen «ich bin ein Mensch mit einem indigenen Hintergrund, der für sein Land kämpft!» Rosa erzählt von vielen ihr bekannten Frauen und Mädchen, die sich mit viel Kraft und Energie für ihr angestammtes Land einsetzen: «Das ist für mich eine Form des Feminismus, das patriarchale System bekämpfen, das zusammen mit Kolonialismus und Kapitalismus bei uns eingeführt worden ist.»

UN-Permanentes Forum für Indigene Angelegenheiten

Das Thema des UNPFII 2021 war Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen, und ich wollte von Rosa wissen, wie diese Ziele unter Einbezug von indigenen Gemeinschaften erreicht werden können. «Ich denke, dass Institutionen aufhören müssen, indigene Gemeinschaften als Hindernis zu sehen. Es braucht einen Sinneswandel im Bezug darauf, wie wir einbezogen werden…wir müssen Teil der Weltgemeinschaft werden.»

Soll die Stimme der Indigenen berücksichtigt werden, muss man wissen, dass für sie der Begriff der kollektiven Rechte und Denkart wichtig ist. Wie Rosa ausführt, ist der Umgang mit einer indigenen Gemeinschaft nicht gleichzusetzen mit dem Umgang mit nur einer indigenen Person, die als Vertreter*in der Gemeinschaft auftritt. Die kollektive Stimme darf nie vergessen werden – das bedingt den Einbezug aller Meinungen der Gemeinschaft, was einen Meinungsfindungsprozess verlangsamt. Im nicht-indigenen System entscheidet einer allein für alle, was Rosa kritisiert. Sie müsse sich Mühe geben, im Sinne ihrer ganzen Gemeinschaft zu sprechen, wenn sie ihre Leute vertritt.

Die Herausforderungen, die sich Indigenen Völkern gegenwärtig stellen, wirken manchmal unüberwindbar. In unserem Gespräch erzählt mir Rosa jedoch über ein umweltschädigendes Projekt, das durch den Zusammenschluss von lokalen indigenen Organisationen gestoppt wurde. Rosas Schilderungen der Widerstandsfähigkeit der Gruppen, mit denen sie arbeitet, und die von ihr selbst verkörperte Leidenschaft erwecken die Hoffnung, dass diese Herausforderungen im Laufe der Zeit bewältigt werden können.

von Katy Cottrell

(Übersetzung: Dominique Knuchel; Bearbeitung: Helena Nyberg)

Foto von Rosa: Shirley Kimmayong

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